Das Theaterstück besteht aus einer Reihe harter, melancholischer Monologe mit Geschichten über Kriege, Ruinen, Massaker sowie schmerzhafte und von Gewalt geprägte Völkerwanderungen. Überlebende erzählen von der Vergangenheit. Doch was kann an diesen Erzählungen aus heutiger Sicht für den Zuschauer noch interessant sein, wo dieser doch ein spannendes Stück, gute Regie, eine Geschichte mit unerwarteten Wendungen oder zumindest eine beeindruckende Bühnenpräsenz mit intensiven Dialogen, ausdrucksstarker Mimik und Bühnenbildern erwartet, die ihn unbewusst in magische Landschaften oder an vom Alltag weit entfernte historische Orte entführen?
Dutzende Dramatiker, ganze Bibliotheksregale voller Werke, Meisterwerke aus der Feder griechischer und nicht-griechischer Verfasser warten auf ihre nächste originelle Inszenierung. Da kann man sich nur fragen: Was hat die Theatergruppe „... zur Sonne“ dazu gebracht, sich mit Elli Papadimitrious Sammlung dunkler, bedrückender Erzählungen wahrer Geschichten zu befassen.
Vom Genozid an den Pontosgriechen bis hin zur Kleinasiatischen Katastrophe, bei der die Griechen gewaltsam aus Kleinasien – aus ihrem Land, dem Land von Priamos und Hektor, von Heraklit, Herodot, Konstantin XI. und Seferis – vertrieben wurden, bringen Bilder wie jene des in Flammen stehenden Smyrna das Herz der Geflüchteten zum Bluten und lassen niemanden ungerührt. Zwei Jahrzehnte später steht das kleine Land, das noch mit der Verarbeitung des Schocks der 1,5 Millionen Flüchtlinge zu kämpfen hat, vor einer neuen Herausforderung: der deutschen Besatzung. In Athen liegen der Hungersnot erlegene Kinderleichen auf den Straßen und auf dem Land werden Dörfer und Bewohner von der Kriegsmaschinerie des Nationalsozialismus verbrannt. Als wäre das nicht genug, bricht unmittelbar nach der Befreiung aus den Fängen der Besatzung 1944 der Bürgerkrieg aus und Griechen kämpfen gegen Griechen. Familien werden zerrissen, ein Kampf bis auf den Tod. Nirgends gibt es Hoffnung. Es scheint, als sollten Thomas Hobbes und die pessimistischen Philosophen recht behalten: Homo hominis lupus est.
Doch es genügt, den Zeugnissen aufmerksam zuzuhören: „Die Bewohner der türkischen Dörfer haben Mitleid und geben uns zu essen.“ „Ein Türke, er schien ein Mann mit Seele zu sein, sagt ihr: ‚Geh weg, dass sie dich nicht sehen.“ „Als die Dorfbewohner sahen, dass unsere Bekleidung alles war, was wir noch hatten, brachten sie uns, was möglich war.“ „Ich hatte Kontakt mit einem Türken aus der Nachbarschaft. Er hat mich immer gewarnt und versteckte mich oft. Er hat mich gerettet.“ „Der Dolmetscher dreht sich um und sagt, der Richter entschuldige uns, weil es sein Namenstag ist.“
Die Tatsache, dass solche Aussagen unter den vielen schmerzhaften Erinnerungen der Protagonisten sehr selten sind, beweist einerseits ihre Wahrheit und andererseits die Gewissheit, dass „die tiefste Dunkelheit kurz vor dem Morgengrauen kommt“.
Ich weiß nicht, was Theodoros vorhatte, als er diese Monologe wählte, die wie Stein in der Seele wiegen. Aber ich weiß, dass als ich sie las und ich mich umsah, ich meinen Nachbarn sah, der sein Basilikum wässerte – und ich liebte ihn. Ich sah, wie die Kinder Ball spielten und durcheinanderriefen – und ich liebte sie. Ich sah den Albaner am Kiosk, wie er mir die Zigarettenpackung mit einem Lächeln gab – und ich liebte ihn. Ich sah den Syrer an der Ampel die Fenster meines Wagens putzen und mir in gebrochenem Griechisch eine gute Fahrt wünschen – und ich liebte ihn. Ich sah Griechenland kämpfen, um aus der Finanzkrise herauszukommen und auf der Straße für heimatlose Flüchtlinge kochen – und ich liebte es. „Du darfst fallen, aber du musst wieder aufstehen.“
Autor:
Elli Papadimitriou
Mitwirkende:
Inszenierung-Bearbeitung:
Theodoros Limitsios
DarstellerInnen:
Eri Bakali
Olga Kessaris
Christos Lakis
Ino Matsou
Antonis Papanikolatos
Pontische Lyra:
Vassilis Liapis
Deutsche Übersetzung:
Santina Marketou, Johannes Stehle
Kostümberatung - Bühnenbild:
Alexandra Karakopoulou
Fotografin:
Christina Karagiannis
Licht:
Vassilis Klotsotiras
Musikalische Auswahl:
Theodoros Limitsios
Text fürs Programm:
Wissarion Bussiopulos
Grafik & Design:
Xanthi Tokmakidou-Trifunovic